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„Eve Of Destruction“, „Hair“ & „Trippin‘ The Sixties“ – Barry McGuire wird 85.

Ein ganz persönlicher Geburtstagsglückwunsch

Das erste Mal „begegnete“ mir Barry McGuire 1973 oder 1974: Die Sparkassen in Deutschland hatten einen Sampler mit dem Titel „Rock-Oldies“ herausgegeben: Mungo Jerry, The Shocking Blue, Deep Purple, Free, Uriah Heep, The Kinks, Chuck Berry, Billy Haley und ein paar andere waren darauf vertreten. Mal Sondock, ursprünglich US-Discjockey beim Soldatensender AFN, mit seiner Sendung „Discothek im WDR“ Anfang der 1970er Jahre längst Kult in NRW, hatte die Liner Notes geschrieben. Dann musste es ja einfach eine großartige Zusammenstellung sein. Mit dabei auf diesem Doppelalbum (mit relativ kurzer Spielzeit) war der mir damals noch unbekannte Barry McGuire. Aber sein Protestsong „Eve Of Destruction“ hatte es in sich. Textzeilen wie „You’re old enough to kill, but not for voting“ elektrisierten uns Jugendliche damals. Die Angst vor dem Wettrüsten, vor einem Nuklearkrieg, vor Umweltkatastrophen ungeahnten Ausmaßes – das alles sensibilisierte meine Freunde und mich. So ging das nicht weiter. Da musste man doch etwas gegen tun. Nur was? Damals noch halbe Kinder wussten wir nicht, dass man in den USA mit 16 Jahren zum Wehrdienst eingezogen werden konnte, im schlimmsten Fall nach Vietnam geschickt wurde, um dort „den bösen Feind“ zu erschießen. Dass dieselben Jungs erst mit 18 Jahren wählen und damals in etlichen Bundesstaaten nicht vor dem 18. Lebensjahr in der Öffentlichkeit ein Bier trinken durften, wussten wir nicht. Auch nicht, dass Barrys Song konsequent von einigen US-Radiostationen boykottiert wurden. Aber wir waren sensibilisiert. Dank Barry, der da ansetzte, wo Bob Dylan aufhörte. (Na ja, vielleicht ist das dann doch eine unstatthafte Verklärung…)

Das zweite Mal begegnete mir Barry Ende der 1970er Jahre, als ich in einem Plattenladen jobbte: Ein evangelischer Pfarrer brachte einen Stoß LPs und bat darum, diese auf Kommission im Laden verkaufen zu dürfen. Mit dabei: Barry McGuire, der zwischenzeitlich nicht nur in einer Off-Broadway-Produktion von „Hair“ zu sehen gewesen war. Denn der war mittlerweile bekennender Christ geworden, lobte und pries den Herrn. Warum auch nicht?

Auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin: Vermutlich war es im Sommer 2008, als ich im Kulturzentrum Franzis in Wetzlar war. Dort passierte mir eine jener Geschichten, die man immer wieder einmal hört, die man aber eigentlich weder hören, noch glauben will. Ein Freund hatte sie mit Ian Anderson von Jethro Tull erlebt, ein Bekannter mit Gerry Conway von Fairport Convention. Und jetzt passierte sie mir: Kurz vor Konzertbeginn noch schnell zur Toilette, wo mir ein grinsender Typ mit markanter Glatze die Hand hinstreckt und mit sonorer Stimme sagt: „Hi, I’m Barry!“ Wusste ich natürlich. Denn seinetwegen war ich nach Wetzlar gefahren. Mit Ex-Byrds-Gitarrist John York saß Barry auf der Bühne, erzählte von seinen Freunden, die mittlerweile das Diesseits verlassen hatten, und spielte deren Lieder. Zwei Männer, zwei Gitarren, zwei großartige, harmonische Gesangsstimmen, die „San Francisco“, „Turn, Turn, Turn“, „Mr. Tambourine Man“, „Monday Monday“ und viele andere Songs zum Besten gaben. Natürlich auch „Eve Of Destruction“, das eine neue Strophe bekommen hatte. Irgendwie war der Song aktueller, aber nicht weniger mahnend – und ist bis heute ein unbequemes Spiegelbild der Gesellschaft geblieben. Barry selbst hat den Song nie als Protestsong gesehen. Für ihn war „Eve of Destruction“ nur eine Diagnose. Die Songzeilen habe er aus Schlagzeilen zusammengestellt, die er in den Zeitungen gefunden habe, sagte er einmal. Und dass alles das, was er kritisiert habe, bis heute unvermindert weitergehe.
Das nächste Mal traf ich Barry und John im Herbst 2013, als ich die beiden für ein Konzert in Fulda vermitteln konnte. Dort war Barry wenige Tage zuvor im Rahmen meiner Gesprächsreihe „Talk am Dom“ zu Gast. Jean-Daniel von Lerber, Schweizer Agenturleiter (Profile Productions), Barrys Begleiter und Promoter, übersetzte einen munter drauflos plaudernden, sichtlich gut aufgelegten Barry. Der Talk wurde, wie üblich für diese Reihe, aufgezeichnet. Damals ahnte ich noch nicht, dass dies (Link siehe unten) das letzte Dokument sein würde, was Barry in Deutschland zeigt. Zumindest meines Wissens.
Konzerte und Talk – was Barry wann genau erzählte, verschwimmt in der Erinnerung. Natürlich erzählte er ausführlich, dass er, wie viele Musiker seiner Zeit, lange Zeit illegale Drogen konsumiert habe, auf dem besten Weg gewesen sei, in die Fußstapfen von Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison und anderen zu treten. Schließlich ging es auch bei ihm um Leben und Tod. Eindringlich und wirklich atemberaubend erzählt der Musiker, wie ihm in dieser Phase Christus begegnete. Was dazu geführt habe, dass er fortan keine Drogen mehr genommen habe und Christ geworden sei. Niemand anderer als Barry selbst kann das adäquat in Worte fassen (Link s.u.).
Unvergessen sind die Stories, die er über verstorbene Musiker erzählte: Wie er einmal einem Mädchen imponieren wollte und mit ihm im klapprigen VW-Bus Wohnungen von Kollegen abklapperte. Plötzlich ruft eine Stimme aus dem Fenster: „McGuire, bist du das? Komm rein!“ Barry ging rein… und blieb drei Monate.
Oder ein Erlebnis mit John Phillips von The Mamas And The Papas: Irgendeine total zugedröhnte Gesellschaft, einer zappt am Fernseher, sieht, dass Menschen in San Francisco ihre Ängste äußern, weil

viele Jugendliche in die Stadt kommen wollten. Der Zapper ruft John Phillips: „Ey, John, du behauptest doch, du könnest über jeden Scheiß einen Hit schreiben!“ „Klar, kann ich auch!“ „Dann guck dir das hier mal an…“ John, zu zugedröhnt, um noch laufen zu können, so Barry, kriecht über den Boden, schnappt sich seine Gitarre und beginnt zu singen (, was auch Barry nach dieser Einleitung tut): „If you’re going to San Francisco be sure to wear some flowers in your hair…“ Der Hit für Scott McKenzie ist geboren.
Oder wie die Amerikaner sich an dem Namen John Deutschendorf abarbeiteten – niemand konnte ihn aussprechen, ohne sich die Zunge zu verknoten. Als Deutschendorf, von einem Auftritt im US-Bundesstaat Colorado kommend, seinen nächsten Gig absolvieren soll, staunt der nicht schlecht, wie er dort angekündigt wurde: als John Denver. Das solle er sein? Er hieße Deutschendorf und wäre nicht aus Denver. Nee, aber er käme ja gerade aus Colorado. Colorado – Denver – unaussprechlicher Name – da war es nur ein kleiner Schritt zu John Denver. Ein Name, gegen den er sich zwar anfangs angeblich wehrt, den er aber nicht mehr loswird. Eine urban legend? Wer weiß. Barry erzählte sie glaubhaft… und lachend.

Viele der Songs aus den Konzerten sind auf zwei großartigen Live-CDs festgehalten, die beide über Barrys Ebay-Store zu beziehen sind. Schade, dass viele der interessanten und komischen Ansagen für den CD-Mitschnitt entfallen mussten. Was bleibt, ist mehr als hochkarätig: nämlich zwei Männer, zwei Gitarren, zwei großartige, harmonische Gesangsstimmen!
Ein großartiger Beobachter, Erzähler, Musiker und Sänger wird 85 Jahre alt.
Happy Birthday, Barry. Glad I wrote that!

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