Héroes del Silencio – Entre dos tierras
Vor ziemlich genau 40 Jahren gründeten im spanischen Saragossa vier außergewöhnliche Teenager die Band „Héroes del Silencio“. Innerhalb von zwölf Jahren entstanden lediglich vier Studioalben. Das aber reichte, um
Roxy Music, Kiss, Pink Floyd und Alice Cooper
die Gruppe zu einem großen Ding zu machen, zumindest in Spanien und in Lateinamerika. Dass nicht mehr dabei herumkam: An den Produzenten kann es nicht gelegen haben. Denn für die Alben Nummer zwei und drei hatte die Band den Roxy Music-Gitarristen Phil Manzanera für die Abmischung verpflichtet; bei 1995er Album Nummer vier sollte es Starproduzent Bob Ezrin in Los Angeles richten. Der hatte mit Kiss, Pink Floyd und Alice Cooper schon ganz andere Schwergewichte zu bleibendem Ruhm verholfen. Bei den Héroes del Silencio gelang ihm das nicht. Und so beendete die Band ihre Karriere nach zwölf mehr oder weniger erfolgreichen Jahren.
Rock gegen Rassismus
Weil das bei uns zulande mit spanischen Texten so eine Sache ist, hätten allenfalls passionierte Spanienurlauber von jener atemberaubend starken Band berichten können. Wenn nicht 1991 ein deutscher Promoter auf die glorreiche Idee gekommen wäre, die „Helden der Stille“ für ein großes Live-Festival endlich mal nach Deutschland zu holen: Die Teilnahme beim „Rock gegen Rassismus“ avancierte zum erfolgreichen Start, so dass die Band für das Jahr 1992 quer durch Europa mit etlichen Auftritten Radio-Airplay. Und ganz Europa tanzte nach einem Song der Band ab: „Entre dos tierras“.
Spanisches Kino… im Kopf
Der Song beginnt ein paar Gitarrenriffs, die dem Song sofort den Stempel einer eher düsteren Atmosphäre aufdrücken. Ein bisschen Hoffnungslosigkeit, ein bisschen genau die Tristesse, die zu den Elementen des spanischen, aber auch des lateinamerikanischen Kinos zählen. Konsequent ist auch das Kino im Kopf wenig düster. Würde man den Text verstehen, würde der diese düstere Atmosphäre unterstreichen. Denn in ihm heißt es:
„Du kannst dich gut verkaufen.
Wenn du Macht willst, ist dir jedes Angebot recht.
Ständig die Klappe aufreißen und dauernd seinen Senf dazu geben,
das ist einfach.
Aber wenn du dann irgendetwas rückgängig machen möchtest,
musst du zuerst einmal deine Spuren verwischen.
Du verlierst deinen Glauben und deine Hoffnungen.
Auch ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll.
Aber vergiss das gleich wieder.
Ich habe dich nicht um Hilfe gebeten.
Und du stehst trotzdem schon wieder bei mir auf der Matte.“
Das Fähnchen im Wind
Ein massiver Vorwurf: Alles zu tun, was einem in irgendeiner Weise nutzen kann. Egal, ob man selbst oder andere dabei auf der Strecke bleiben. Die Folgen benennt der Song deutlich: Wer sich anpasst und verbiegt, um erfolgreich zu sein, verliert seine eigene Identität. Und gleichzeitig gehen die eigenen Maßstäbe verloren. Zudem belastet ein derartiges Verhalten die Beziehungen zu anderen Menschen. Der Song wählt hier drastische Worte:
„Du schwebst zwischen zwei Welten. Da bleibt wenig Luft zum Atmen.
Also reiß dich endlich am Riemen.
Sei nicht so lasch und sorge dafür, dass endlich was passiert.
Wenn du das Ruder nicht selbst bald herumreißt,
wirst du noch genug Scheiße fressen müssen!“
Metapher: zwei Welten
Die Metapher von den zwei Welten zeigt deutlich: Man weiß nicht mehr, wohin man gehört. Jegliche Freiheit geht verloren, wird von der Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und den eigenen überzogenen Wünschen, vielleicht sogar von den Erwartungen anderer aufgefressen. Vor allem aber gilt: Für das eigene Scheitern ist niemand anderes verantwortlich als man selbst. Oder wie es im Song heißt:
„Also lass mich in Ruhe!
Ich bin nicht schuld, wenn du auf die Schnauze fällst.“
Zwischen Selbstverleugnung und Freiheit
„Entre dos tierras“, zwischen zwei Welten, ist ein eindringlicher Weckruf, um sich von überzogenen Erwartungen, auch eben Erwartungen anderer freizumachen. Dazu gehört es, zuerst einmal nach sich selbst zu suchen, über seine eigenen Ängste und Zweifel nachzudenken. Diese Suche ist nicht unproblematisch: Sie gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen immer hin- und hergerissen zwischen der Suche nach Freiheit und der lange geübten Selbstverleugnung. Wer dies aufrichtig versucht, so die Botschaft des Songs, wird Sinn in seinem Leben finden und von da an ein zufriedenes Leben führen.
Keine Ahnung, wohin es gehen soll
Ach hätten Héroes del Silencio nur die Ratschläge ihres eigenen Textes befolgt! Wie eine Netflix-Dokumentation zeigt, begannen die Bandmitglieder ihr Projekt mit einer unglaublichen jugendlichen Unbekümmertheit. Auf die Frage, wer sie eigentlich seien, antworten die Musiker entwaffnend offen, dass sie das selbst noch nicht wüssten. Wie auch, in einer Zeit, in der nichts so wenig angesagt war wie eine Gitarrenband im Stil der „Helden der Stille“? Inmitten von Technopop und Grunge trugen die „Héroes del Silencio“ nietenbesetzte Lederwesten auf dem nackten Oberkörper, schienen irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein… und fanden trotzdem ihr Publikum. Verdauten sogar, dass sie statt in vollen spanischen Stadien in kleinen deutschen Clubs auftraten, bis sie endlich auch bei uns große Hallen füllten. Sie nahmen ihre Platten in London auf, unternahmen – wie die Stars der 1960er Jahre – eine ausgedehnte Indienreise, wollten nach Süd- nun auch Nordamerika im Sturm nehmen… und scheiterten kläglich.
Unbekümmertheit verloren
Und zwar an sich selbst. Denn die „Héroes del Silencio“ hatten längst ihre Unbekümmertheit verloren, galten als arrogant, ihre Alben als zu glatt. Schleichend kam es zu einer Entfremdung zwischen dem gut aussehenden, immer egozentrischer wirkenden Sänger und dem Gitarristen der Band, einem schüchternen Genie an seinem Instrument. Ach hätten sie doch nicht versucht, vom großen Rockkuchen immer größere Stücke abzubekommen und sich selbst und ihre Musik nach diesem Wunsch auszurichten! Ein bisschen weniger Marionette, dafür ein bisschen mehr Autonomie – vielleicht würden wir dann die „Héroes del Silencio“ immer noch so erleben, wie das viele begeisterte Fans bei einer Reuniontour in Lateinamerika sowie Valencia, Sevilla und natürlich in Saragossa taten.
Streit oder Optimismus à la Holstein Kiel
So bleibt eher in Erinnerung, dass sich im Videoclip zu „Entre dos tierras“ ein Pärchen zum Teil ziemlich gewalttätig streitet. Da wäre es schon spannend, Till Lindenmann einmal nach seinen Beweggründen zu befragen, weshalb er ausgerechnet diesen Song als Coverversion aufgenommen hat. In jedem Fall steckt im Song positives Potenzial. Erkannt hat das schon vor Jahren der Fußballclub Holstein Kiel: Seinen Spielern dient „Entre dos tierras“ nämlich als optimistische Einlaufmusik.
Héroes del Silencio – „Entre dos tierras“
Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.
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