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Rea, Chris – Driving Home For Christmas

Der Oldtimer, Typ Morris 1000, stammt aus dem Jahr 1957, sein Fahrer ist noch sechs Jahre älter: Christopher Anton Rea, Slidegitarrist und Songwriter mit samtweicher Stimme, hat irgendwann einmal gesagt: Autos seien sein Leben. Mit dieser Leidenschaft im Gepäck

Leidenschaft Autos

fuhr er Rennen und sammelte sogar Oldtimer. Nach schlimmen gesundheitlichen Problemen ist Chris Rea heute meistens noch als Beifahrer unterwegs. Die Straße als Ort für Ideen bleibt bis heute – nicht zuletzt, weil einige der bekanntesten Songs von Chris Rea durch kurze Momentaufnahmen auf den Straßen Englands entstanden sind. 2017 veröffentlichte der Musiker sogar ein ganzes Album mit „Road Songs For Lovers“ – eine Ansammlung von Impressionen, die Rea beim Anblick von jungen Paaren in anderen Autos hatte. Und die er auf die ihm eigene Weise weiterspann und zu ganzen Geschichten ausbaute. Zu diesem Zeitpunkt waren zwei seiner bekanntesten „Road Songs“ aber quasi schon Geschichte:

The Road To Hell

„The Road To Hell“ veröffentlichte Rea bereits 1989. Ein Song mit einem umweltkritischen Text. Der schrieb der Musiker, als er an der Kreuzung der englischen Autobahnen M25, der Ringautobahn rund um London, und der M4 wieder einmal im Stau stand. Bei den Heimfahrten mit dem Auto von London nach Middlesbrough hoch im Norden Englands stand Rea oft stundenlang im Stau. Da können einem schon eine Menge Gedanken durch den Kopf gehen – auch über Umweltschutz und -verantwortung, über den Sinn des Lebens und wie das alles weitergehen soll. In „The Road To Hell“ lässt Rea seine Mutter eine drastische Warnung abgeben. Nicht nur die M25 ist also eine Straße direkt in die Hölle; sondern der Lebensstil des Sängers möglicherweise aus.

M25 – größter Parkplatz der Insel im UK

Das älteste „Autofahrerlied“ von Chris Rea ist aber noch ein paar Jahre älter. 1978, so der Sänger gegenüber dem britischen Guardian im Interview, hatte er soeben seinen Plattenvertrag verloren. Außerdem trennte sich sein Manager von ihm. In dieser Situation musste Rea kurz vor Weihnachten von den Aufnahmestudios in London nach Middlesbrough reisen. Die bequemere Zugfahrt war teuer. Zu teuer! Und weil sich der Musiker sicher war, dass er auf den Kosten sitzenbleiben würde, beorderte er kurzerhand seine Frau mit dem Auto von Middlesbrough nach London. Über drei Stunden war die Ärmste mit einem Austin Mini unterwegs. Und weil es wie verrückt schneite, wurde die Rückfahrt zum Geduldsspiel. Stau, kein Vorankommen. Wer es nachvollziehen will: Die Briten wären nicht die Briten, wenn sie nicht längst eine Tourismusattraktion aus den 188 Kilometer langen „größtem Parkplatz der Insel“ gemacht hätten: die „M25 Orbital Coach Tour“ bietet für ein paar britische Pfund das Vergnügen, im bequemen Reisebus einen halben Tag lang im Stau rund im London zu stehen. Unter Umständen auch länger. Humor haben unsere Freunde von der Insel auf jeden Fall…

Wir fahren zu Weihnachten nach Hause

Von jenen touristischen Gefühlen war Chris Rea 1978 weit entfernt. Genauso wie die Menschen in den neben ihm stehenden Fahrzeugen. Die waren bedient, sahen elend aus und wollten wie die beiden Reas doch nur eins: nach Hause. Bei Chris schlug die Verärgerung in Amüsement um: „Wir fahren zu Weihnachtgen nach Hause“ sang er vor sich hin… und kritzelte Sekunden später die ersten Bestandteile des Textes von „Driving Home For Christmas“ in sein Notizbuch. Kleine Randbemerkung: Als das Paar nach stundenlanger Auto-Tortur endlich im heimischen Middlesbrough ankam, befand sich ein Scheck für die Tantiemen zu „Fool „If You Think It’s Over“ in der Post. Da konnte Weihnachten ja kommen.

Lange in der Schublade

Ob die plötzlichen Einnahmen der Grund sind, warum „Driving Home For Christmas“ in der Schreibtischschublade blieb, ist unklar. Sicher ist, dass Chris Rea grundsätzlich keinen Weihnachtssong aufnehmen wollte. Seinen Song hatte er für Van Morrison gedacht – warum auch immer: Auch der schon damals stetig grantelnde Nordire nahm den Song nie auf. Erst als Chris 1986 händeringend nach Füllmaterial für die B-Seite der Single „Hello Friend“ suchte, kramte er „Driving Home For Christmas“ aus der Schublade hervor. Damals aber noch in einem völlig anderen Arrangement, ohne das Jazz-Intro von Max Middleton und auch ohne weihnachtliches Flair.
Das alles erhielt der Song erst 1988: Da testeten nämlich Chris Rea und besagter Keyboarder Max Middleton ein paar Klaviere, Rea hatte als Geistesblitz die neue Melodie für den Song im Kopf… und innerhalb kürzester Zeit entstand die Version, die wir heute von „Driving Home For Christmas“ kennen.

Immer höher in den Charts

Platz 53 erreichte der Song. Mehr nicht! Chris Rea wusste schon, warum er nie ein Weihnachtslied schreiben wollte. Was er aber nicht wusste, war die Entwicklung, die der Song nehmen würde: Langsam aber sicher krabbelte der Song Jahr für Jahr höher in die Charts und gehört heute längst zu den Weihnachts-Pop-Klassikern. Vielleicht auch, weil er abseits des realen Hintergrunds mit seinem Text eine ganz andere Zielrichtung aufweist:

„Ich fahre zu Weihnachten nach Hause
Oh, ich kann es nicht erwarten, diese Gesichter zu sehen.
Ich fahre zu Weihnachten nach Hause, ja
Nun, ich fahre diese Strecke. Es ist schon eine Weile her, aber ich werde dort sein.
Ich singe dieses Lied, um mir die Zeit zu vertreiben.
Ich fahre in meinem Auto, bin auf dem Weg nach Hause zu Weihnachten.
Es wird einige Zeit dauern, aber ich werde es schaffen.
Stau ohne Ende, rote Ampeln, die mich ausbremsen.
Aber bald werde ich auf die Autobahn kommen.
Ich stehe mit meinen Füßen auf heiligem Boden.
Also singe ich für dich, auch wenn du mich nicht hören kannst.
bis ich es geschafft habe und deine Nähe spüre.
Ich fahre an Weihnachten nach Hause.
Tausend Erinnerungen werden wach.
Ich werfe einen Blick auf den Fahrer im Wagen neben mir.
Ihm geht es genauso. Auch er fährt nach Hause zu Weihnachten.“

Weihnachtssehnsucht

Weihnachten – das Fest der Familie, des Friedens. Das Fest leuchtender Kinderaugen. Und das Fest, an dem all die Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wieder hochkommen. An Zeiten, in denen die religiöse Dimension des Festes noch eine größere Rolle spielte als heute: dass Gott Mensch wird, als Kind in der Krippe ohne Pomp und Glanz in diese Welt tritt; dass er nicht kommt, um die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt außer Kraft zu setzen, sondern dass auch er sich ihnen unterwirft. Und mit seinen Geschöpfen mitleidet – bis zum Tod am Kreuz. Gedanken, die für viele Zeitgenossen heute ziemlich fremd, zumindest aber „weit weg“ scheinen, für Christen aber unauflöslich mit Weihnachten in Verbindung stehen. Denn das ist die zentrale Weihnachtsbotschaft: Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind.
Für uns kaum nachvollziehbar, für die Menschen in der Ukraine bittere Realität, dass das eben nicht so ist: Weil Weihnachten eben wirklich nur dann ein Fest des Friedens sein kann, wenn sich alle Menschen an die zehn Angebote Gottes für ein friedliches Zusammenleben halten. Wenn eben alle Menschen guten Willens sind.

Entfernung und Distanz

Für viele Menschen ist das Weihnachtsfest in der Familie mit überwiegend guten Erinnerungen verbunden. Endlich wieder im vertrauten Familienkreis zu sein, miteinander zu feiern, sich gegenseitig von den neusten Erlebnissen und Erfahrungen zu berichten, vielleicht sogar Lieder zu singen und abends gemeinsam einen Gottesdienst zu besuchen – in diesem Sinne bekommt „Driving Home For Christmas“ eine doppelte Bedeutung: Es geht nicht nur darum, eine Entfernung zwischen zwei Orten zu überbrücken. Sondern es geht auch darum, sich der Familie und engsten Freunden gegenüber zu öffnen, eine entstandene Distanz zu den Familienangehörigen zu überwinden, sich so zu geben, wie man wirklich ist; die Schutzmechanismen des beruflichen Alltags fallenzulassen und zu sagen: Hier bin ich Mensch. Und hier darf ich es auch sein. Hier werde ich angenommen mit all meinen Stärken und all meinen Fehlern. Hier bin ich zu Hause.

Lange kein Video

Bliebe noch nachzutragen: Da Chris Rea ja eigentlich nie ein Weihnachtslied schreiben wollte, gab es lange Zeit für „Driving Home For Christmas“ auch keinen eigenen Videoclip. Erst 2009 und damit weit mehr als 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Songs nahm Chris Rea ein großangelegtes Video auf: Alle Einnahmen flossen an die britische Wohltätigkeitsorganisation „Shelter“. Die kümmert sich nicht nur in der kalten Jahreszeit um Obdachlose, gibt ihnen ein Dach über den Kopf und sichert den täglichen Lebensunterhalt.

Schmierzettel versteigert: Wer ist Brenda?

Einmal auf den Geschmack gekommen übergab Chris Rea dem „Teenager Cancer Trust“ das Stück Papier, auf das er 1978 die ersten Verse von „Driving Home For Christmas“ gekritzelt hatte. Die Versteigerung verschaffte der Organisation, die sich um an Krebs erkrankte Jugendliche kümmert, beträchtliche Einnahmen. Der neue Besitzer der Notiz wird sich wohl auch in Zukunft damit beschäftigen, warum auf dem Zettel ein paar Details eines indischen Imbisses notiert sind. Und wer wohl mit dem Vermerk „Brenda anrufen“ auf demselben Zettel gemeint ist.

„Driving Home For Christmas“ – zurück an die eigenen Wurzeln gehen. Und von da aus positiv für andere da sein. So wie Chris Rea das mit seinem Song vormacht. Hier ist. Chris Rea und „Driving Home For Christmas“

Der bei Radio Salü gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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